Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf
In Griechenland wird aus Protest gegen die überraschende Schließung des staatlichen
Rundfunks (ERT) in vielen Bereichen gestreikt. Schwerpunkte bilden wie fast immer
die öffentliche Verwaltung und der Personenverkehr. An einigen Orten streiken die Busfahrer. Außerdem ist die Eisenbahn und sogar der Luftverkehr betroffen. Aus dem angekündigten Generalstreik wurde aber nichts. Banken, Einzelhandel, Restaurants und Hotels blieben
geöffnet.
Thema Streik in Griechenland
Warum wird eigentlich in Griechenland in letzter Zeit so oft gestreikt?
Wenn man im Fernsehen Bilder von Streiks in Griechenland sieht oder darüber
in der Zeitung liest, dann lohnt es sich schon, ganz genau hinzuschauen. Wir
kennen Streiks im Allgemeinen als Kampfmittel von Gewerkschaften im Rahmen von
Tarifverhandlungen. Dabei geht es um
höhere Gehälter oder die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. In Griechenland
ist das etwas anders. Hier streiken auch die Unternehmer! Als ausgerechnet im
Sommer 2010 die Tankstellen nicht mehr mit Treibstoffen beliefert wurden und
zehntausende von Urlaubern strandeten, streikten nicht etwa die LKW-Fahrer. Es
ging auch niemandem um Gehälter oder Arbeitsbedingungen. Es waren die
Speditionsunternehmen, die ihre Tankzüge nicht auf die Straße ließen. Dabei
ging es ihnen auch nicht um höhere Gehälter oder Frachtraten, sondern um die
Sicherung von staatlichen Privilegien. Wenn Sie nämlich in Griechenland Eigentümer
für eine Transportlizenz für Treibstoffe sind, dann haben Sie und ihre Familie
für Generationen im Grunde ausgesorgt.
2011 wurden die entsprechenden Gesetze überarbeitet und der Markt
liberalisiert. Geändert hat sich in der Praxis nichts.
Der reichste Mann im Ort war Giannis ********. Ich lernte ihn gleich in der
ersten Woche meines Aufenthaltes in Griechenland kennen. Er kam einfach so bei
mir vorbei und stellte sich vor. Er war ein entfernter Verwandter meines
griechischen Freundes Dimitrie, den ich aus Deutschland kannte. Einer von
Giannis Söhnen studierte damals in Hamburg. Giannis sprach ein wenig deutsch
und besuchte mich jedes Mal, wenn ich in Griechenland war. Es waren immer sehr
angenehme Gespräche und er war stark daran interessiert, seine Deutschkenntnisse
zu verbessern. Schon bald lud er mich auch zu seinen zahlreichen und großen
Familienfesten ein.
Wie bei vielen anderen Griechen, die ich kenne, war sein Interesse eine
Fremdsprache zu erlernen groß. Außerdem ist es auch typisch, dass wohlhabende
Griechen ihre Kinder an renommierten Universitäten im vorwiegend westlichen
Europa oder Nordamerika studieren lassen.
Mit seiner Familie bewohnte er eine große und opulente Villa. Diese Villa
lag in einem parkähnlichen Grundstück von mindestens zwei Hektar Größe. Die
Villa war sehr hochwertig ausgestattet. Es gab dort mehr Antiquitäten als in
manchem Museum.
Giannis lebte dort mit seiner Frau und seinen Kindern. Auch seine Eltern
lebten mit der Familie in dieser Villa. Er versorgte seinen 91 Jahre alten
Vater und die Mutter sehr fürsorglich. Dazu gab es sogar eine Pflegekraft aus
Bulgarien, die mit in der Villa lebte und die Eltern rund um die Uhr versorgte.
Gianni war seinen Eltern sehr dankbar und hatte auch allen Grund dazu.
Immerhin hatte er ihnen den Reichtum der Familie zu verdanken. Der Reichtum der
Familie bestand aus zwei 40-Tonnern. Es waren zwei Lastzüge deutschen
Fabrikats. Der eigentliche Reichtum bestand in der Transportlizenz für die
beiden LKW.
Giannis Vater, der ein einfacher Landarbeiter war, hatte die Lizenzen
Anfang der 70er Jahre erworben. Damals vergab der griechische Staat 33.000
dieser Lizenzen gegen eine niedrige Gebühr. Aufgrund seiner guten Beziehungen
und reichlich Schmiergeld erhielt Giannis Vater damals die Lizenzen für die
beiden LKW. Seit damals wurden vom griechischen Staat keine neuen Lizenzen mehr
ausgegeben.
Möchte man heute eine derartige Lizenz erwerben, so muss man dafür
mindestens 300.000 Euro bezahlen, wenn man überhaupt eine Lizenz bekommt.
Noch teurer sind die Lizenzen für Tanklaster, von denen es in ganz
Griechenland etwa 1300 gibt.
Folge der staatlichen Regulierung oder besser gesagt Misswirtschaft ist ein
Marktversagen im gesamten Transportsegment. Während sich in Europa flexible
Logistikkonzerne entwickelt haben, ist es in Griechenland bei kleinen
Transportunternehmen mit einem oder zwei Fahrzeugen geblieben. Dafür sind die
Preise für Transporte horrende und schaden damit der wirtschaftlichen
Entwicklung anderer Branchen.
Nur sehr Wenige profitieren von derartigen Regelungen. Gianni und seine
Familie gehörten zu diesen Wenigen. Ihm bescherte dieser abgeschottete Markt
seit Jahrzehnten immenses Einkommen und Wohlstand. Unter den
Transportunternehmen funktioniert die Kooperation auch sehr gut. So existiert
praktisch keine Konkurrenz.
Der Transportsektor zu Wasser ist für die griechische Wirtschaft und den
Staat leider auch kein Hoffnungsträger. Zwar verfügen griechische Reeder über
eine der modernsten und größten Flotten der Welt, nutzen tut das jedoch dem
griechischen Staat nichts. Griechischen Reedern garantiert der Staat nämlich
umfangreiche Steuerprivilegien.
Auch unter den Matrosen der Schiffe werden Sie kaum Griechen antreffen. Das
führt zwar dazu, dass einige Reeder es zu unglaublichem Reichtum und Einfluss
in der Politik gebracht haben, an der Finanzierung des Staates beteiligen sie
sich aber praktisch nicht.
Neben den Transportunternehmen gibt es weitere Bereiche der Wirtschaft, die
wie geschlossene Gesellschaften organisiert sind. Vergleichbares findet man bei
Architekten, Apotheken, Notaren und anderen Gewerben und Berufen. Die Folgen
sind hohe Preise, ineffizientes Angebot und Möglichkeiten der Bereicherung
durch die Inhaber derartiger Lizenzen.
Diese Formen der Marktbeschränkungen wirken sich negativ auf Griechenlands
wirtschaftliche Entwicklung aus. Das renommierte Wirtschaftsforschungsinstitut
IOBE (Foundation for Economic and Industrial Research) mit Sitz in Athen hat
berechnet, dass allein ein moderater Wegfall dieser Marktbeschränkungen ein
jährliches Wirtschaftswachstum von 3 Prozent zur Folge haben könnte. Seit 2011
sind hierzu zahlreiche Gesetzesreformen auf den Weg gebracht worden. So weit
ich die Lage überschauen kann, hat sich bis heute wenig bis nichts verändert.
Zumindest musste Gianni seinen Lebensstil bis heute nicht ändern.